Notes from the trail #3: Wildlife

(GERMAN)

Die Zivilisation macht uns allen zu schaffen, und wer die Nase so richtig gestrichen voll hat, sucht irgendwann das Weite, die Weite, in der Wildnis. Welch Luxus, dem Teufel Infrastruktur mal für ein paar Tage nicht ausgesetzt zu sein, keine Cafés, keinen Strom, nicht einmal Straßen ertragen zu müssen.

Die letzte Wildnis Europas findet man in Schweden, ganz oben, in der Provinz Norrbotten. Von Abenteuerroman-Fantasien beflügelt habe ich uns schon durch Moortiefen waten und über hohe Sträucher manövrieren sehen, verfolgt vom Schatten eines Rotmilans, und in der Ferne das Geheul von hungrigen Wölfen. Im Vorbeigehen streicheln wir Elchkühe, und womöglich erhebt sich sogar irgendwann ein Braunbär im hohen Gebüsch und fletscht die Zähne.

Natürlich wusste ich, dass es niemals so kommen wird, die nordeuropäische Fauna erweist sich sogar als blutarmer als vermutet. Nur eine kleine Rentierherde ist uns vergönnt, die scheu in der Ferne steht und glotzt. Etwas extrovertierter zeigt sich ein Rebhuhn, sein nächtlicher Auftritt direkt auf der anderen Zeltplanenseite gehört zu den verstörendsten akustischen Erlebnissen, denen ich je beiwohnen durfte. Es ist schwierig, diesen Laut adäquat zu beschreiben – hysterisches Gurren, schepperndes Keifen, nichts wird dem gerecht, was man zu hören bekommt.

Die einzige Spezies im Fjäll, die sich in puncto Population und Aufmerksamkeitsbedürftnis deutlich in Szene setzt, ist die Mücke: Stechmücken, Schnaken, klassische Moskitos, Black Flies – um nur einige zu nennen. Bei der Verteidigung gegen das jeweils angreifende Insekt erweist es sich auf jeden Fall als hilfreich, die Taktik anzupassen. Die trägeren lassen sich erschlagen, andere beißen vor Schreck, hier gilt es also eher zu scheuchen. Manche kriechen sogar durchs Textil, verstecken sich auf der Rückseite des Stoffes und saugen einen erst leer, wenn man im Tiefschlaf versunken nichts mehr mitkriegt, ein Zeichen puren animalischen Kalküls. Feige Methoden, die in aller Deutlichkeit aufzeigen, mit welch seelenlosen Geschöpfen man es zu tun hat.

Der Griff zum Insektenspray liegt also nahe, ein kleiner, feiner Giftgasangriff kann Wunder wirken. Beim Kauf sollte man übrigens unbedingt darauf achten, nicht unter die 80%-DEET-Marke zu rutschen, das Gas MUSS Allergien auslösen und sollte für Kleinkinder lebensbedrohlich sein.

Auch was die Tageszeit angeht, sind Mücken unberechenbar. Abende sind beliebt, milde insbesondere, da unterscheiden sie sich kaum vom Mitteleuropäer. Die ganz kleinen mögen‘s kalt und früh, also genau dann, wenn man, steif und verschlafen, nicht damit rechnet und eigentlich damit beschäftigt ist, überhaupt erst mal klarzukommen. Das Ablegen der Schutzkleidung ist folglich zu keinem Zeitpunkt sinnvoll, und es ist ratsam, jederzeit konzentriert zu bleiben, um den Überblick über die Feinde niemals zu verlieren.

Wer das alles überstanden hat und sich im überdachten, kuschligen Hostelbett wiederfindet, hat nun Level 2 erreicht: Bettwanzen. Die größten Gefahren lauern eben doch in der Zivilisation.